Ich hoffe, dass Sie diese Geschichte bis zum hl. Abend geheim halten.

 

Am hl. Abend schalten Sie dann das Licht aus, zünden die Kerzen an und erzählen Sie die Geschichte so, als ob Sie der Simon wären.

 

Ich habe ein kleines Geheimnis in dieser Geschichte versteckt. Wenn Sie tief in die Geschichte eintauchen, dann können Sie dieses Geheimnis erfühlen! 

 

Bitte geben Sie die Weihnachtsgeschichte so weiter, als hätten Sie sie selbst erlebt.



Es war an einem Sonntag vor Weihnachten. Gelöst von all den Sorgen und Mühen der vergangenen Tage und Wochen lehnte ich am Tor unseres schön geschmückten Christbaumstadels. Das Wetter war durchwachsen. Die Sonne drängte sich zwischen den Lücken der Wolken hindurch. Der Wald war märchenhaft verschneit.

 

Viele Gäste füllten unseren Christbaumwald. Da stand ich nun, den Duft frischer Bratwürste und süßen Glühweins in der Nase. Von den meisten Bäumen hatte ich mich schon verabschiedet. Die vorweihnachtliche Hektik war verflogen. Immer wieder wurde ich mit einem freundlichen Lächeln 

beschenkt. Und dann die vielen glücklichen Kinder! Einige fragten, ob ich ein kleines Bäumchen für ihr Kinderzimmer hätte, andere zogen einen Schlitten durch den Wald. Unsere Tret-Zugmaschinen waren heiß begehrt.

 

Da kam plötzlich ein kleiner Junge laut rufend um die Ecke gesaust und schrie: "Papa, Papa, wir müssen unbedingt nochmal zum Wald-Nikolaus, der ist nämlich Stuttgart Fan, und zerrte am Ärmel seines Vaters der am Lagerfeuer saß. Dem herzhaften Lachen der anderen Erwachsenen konnte er aber nichts abgewinnen. Ich war mit mir und der ganzen Welt zufrieden.

Doch plötzlich und unerwartet wendete sich das Blatt. 

 

Zwischen all den lachenden und zufriedenen Menschen sah ich eine dunkel gekleidete Frau, die mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern und schleppenden, kleinen, leisen Schritten vor sich hin murmelte. Sie ging am Lagerfeuer auf und ab und auf und ab. Sie und ihr Mann kamen schon seit vielen Jahren um bei uns ihren Christbaum zu holen. Ganz langsam näherte ich mich ihr und begleitete sie einige Schritte.

 

In ihrem Kummer so gefangen bemerkte sie mich garnicht. Ich sprach sie an und fragte: "Was hast Du denn, was fehlt Dir denn?" Ganz erschrocken blickte sie auf und sah mich an. Und dann sah ich die vielen Tränen in ihren Augen. Mit leiser Stimme erzählte sie mir, dass Ihr Mann kürzlich von 

heut auf morgen gestorben sei, sie hätten keine Möglichkeit mehr gehabt, sich voneinander zu verabschieden.

 

Sie sei zuhause, traurig und allein, am Tisch gesessen. Da habe sie sich aufgerafft um hierher zu kommen, wo sie und ihr Mann sich jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit so glücklich fühlten. 

 

Sie sagte, sie habe nicht den Mut und die Kraft, einen Christbaum zu suchen und zu schmücken, sie wolle nur hier mit ihrem Mann darüber sprechen, wie sie es mit dem heiligen Abend halten solle. Da stand ich nun wie angewurzelt, Trauer und Mitgefühl hatten meine vorherige Zufriedenheit von einem zum anderen Augenblick verdrängt. 

 

Ich nahm all meinen Mut zusammen, nahm sie an der Hand und wir liefen schweigend in den verschneiten Christbaumwald. Es begann wieder zu schneien. Wie ein Vorhang fielen die Schneeflocken vor uns nieder. Eine unheimliche Stille machte sich breit.

 

Mit leiser und stockender Stimme erzählte sie von all den vielen wunderbaren Tagen und Jahren, die sie mit ihrem Mann verbringen durfte. Wie weh es jetzt tut, wenn sie nach Hause kommt und niemand da ist, der ihr zuhört oder antwortet. Sie ließ mich fühlen, wie sehr die letzten einsamen Tage und Nächte auf ihren Schultern lasteten.

 

Tief im Innern spürte ich, wie gut es ihr tat, mir ihre Sorgen und ihre Not anzuvertrauen.  

Ich weiß nicht warum und wieso uns unser Weg ausgerechnet zu einem Platz ganz unten in der hintersten Ecke des Waldes führte, dies wird wohl immer ein Geheimnis bleiben.

 

Dort stand ein kleines Bäumchen, nicht groß, nur ca. 1m. Ich kannte das Bäumchen schon seit Jahren, es war außergewöhnlich schön gewachsen. Schon seit langem habe ich es beobachtet. Beim Mähen kam ich manchmal an ihm vorbei und legte schon mal eine Rast bei ihm ein. Wenn ich 

ganz gut drauf war kam es schon mal vor, dass ich mit der Hand ganz zärtlich über seine Zweige streichelte.

 

Als ob ich eine Vorahnung hatte sagte ich zu dem Bäumchen: "Du wirst ganz sicher einmal ein ganz schöner, großer Baum."  

 

Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke. Ich lief ganz schnell zum Stadel zurück und holte eine Handsäge. Mit der Säge in der Hand kam ich zurück und genau in dem Augenblick als ich mich bücken wollte, fing ein ganz kleiner Vogel hoch oben im Geäst eines Baumes mit heller Stimme 

an sein Abendlied zu singen.

 

Ganz andächtig hörten wir ihm zu. Mir war’s als wollte der Verstorbene uns Beiden sagen, seid doch nicht traurig, ich bin doch bei Euch! Das Bäumchen in der Hand, sagte ich zu ihr:  „Nimm das Bäumchen und schmück es so, wie ihr es all die Jahre getan habt, zünde am heiligen Abend die Kerzen an und sag ihm: „s’ Bäumchen ist vom Simon.“

 

Ganz plötzlich und unerwartet lief sie auf mich zu, umarmte mich und fing an zu weinen. Ihr Schluchzen übertönte den Gesang des kleinen Vogels. An den Rückweg erinnere ich mich noch ganz genau, als wär’s erst gestern gewesen. Ohne ein Wort stapften wir zurück, in der einen Hand die Frau,

in der anderen das kleine Bäumchen.

 

Auf halber Höhe angekommen drehten wir uns um und schauten ins Tal, der Wind spielte seine Melodie in den Zweigen eines nahestehenden hohen Baumes und zupfte ganz leicht an ihrem schwarzen Haar. Schneeflocken tanzten Ihren Tanz um uns herum. 

 

Wir sahen, wie die Dämmerung das Glitzern des Schnees an den Bäumen mit Ihrem Dunkel verhüllte. Und da, plötzlich, sah ich es: Ein leises Lächeln umspielte Ihren Mund und breitete sich über das ganze Gesicht aus. Den anfangs hängenden Kopf und ihre hängenden Schultern trug sie wieder oben. Ein unbeschreiblich schönes Gefühl überkam mich und ich schickte ein Dankeschön nach oben. Nun gingen wir wieder zurück. In der Stille hörten wir nur das Knarzen und Knirschen des gefrorenen Schnees unter unseren Schuhen.

 

Alle Gäste waren inzwischen gegangen und es war sehr kalt geworden. Am warmen Lagerfeuer angekommen, lud ich meine Begleiterin zu einer Tasse Glühwein ein. Ich legte ein paar Scheite Holz nach.

 

Da saßen wir nun und schauten in das lodernde, prasselnde Feuer. Die Zeit schien stehenzubleiben. Ich konnte erahnen, was in Ihrem Kopf vorging. Da stand sie plötzlich auf und nahm das kleine Bäumchen ganz behutsam in Ihre Hände, grad so als wär’s zerbrechlich. Als sie gerade zu ihrem Auto ging drehte sie sich plötzlich um und rief mir zu: "Simon, ich wünsche Dir frohe Weihnachten!"

 

Nachdenklich saß ich noch eine Weile am Lagerfeuer, bis die Kälte in meine Glieder kroch, dann ging ich nach Hause.

 

Am heiligen Abend waren wir bei unserer Tochter Petra  eingeladen. Meine Enkelin Lina zeigte mir ganz stolz ihren selbst ausgesuchten und geschmückten Christbaum. Ich war dankbar, dass die Natur uns so einen schönen Baum geschenkt hatte. Von meinem gemütlichen, warmen Sessel aus, beobachtete ich  das Treiben der Bescherung. Unser Enkel Timo, eineinhalb Jahre alt, zog einen Bagger unter dem Baum hervor und rief mit hochroten Backen: Opa, Bagger.

 

Ganz langsam lehnte ich mich zurück und meine Gedanken entführten mich ins Reich der Träume: 

 Und da stand ich wieder, mitten im Christbaumverkauf. Da zogen sie nun an mir vorbei, die vielen Bilder, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur:

 

Ich sah die vielen glücklichen Gesichter, ich roch ganz intensiv den Duft der Bratwürste und des Glühweins, viele glückliche Kinder umscharten mich. 

Plötzlich, da war sie wieder, ich sah wieder die Tränen der trauernden Frau. Ihr verstorbener Mann rief mir freundlich lachend zu: Simon, es war wieder schön bei Dir, nächstes Jahr komme ich wieder.

 

Der Vogel im Geäst sang leidenschaftlich sein Lied. Ich hörte, wie ich das kleine Bäumchen um Verzeihung bat, dass ich es schon so klein abgeschnitten hatte.Nun sah ich einen wunderschön geschmückten Baum, dessen Kerzenlicht das milde lächelnde Gesicht der Frau erhellte.

 

Ich hörte ganz deutlich, wie all die schön geschmückten Bäume in Ihren Weihnachtsstuben ihren Menschen erzählten, wie ein ganz kleines Bäumchen ganz weit über sich hinauswuchs und ganz groß wurde.

 

Es hatte einem einsamen Menschen Hoffnung, Zuversicht und Frieden gebracht.

 

Da plötzlich wurde ich von meiner Enkelin Lina unsanft geweckt, sie sagte: Aber Opa, es ist heilig Abend, da schläft man doch nicht!



Gesegnete Weihnachten und viel Frieden in Ihrer Familie wünscht Ihnen

 

Ihre Familie Stempfel